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und Foto: Stefan Jahnke
Leseprobe - Wettin - Gefährliches Erbe
Prolog
Fast wäre ich vorbei gefahren… wie oft habe ich schon diese gesperrten Parkplätze gesehen, die man vielleicht kennt, aber eben nicht ansteuern kann, weil gerade das Eine oder Andere dort in Ordnung gebracht werden muss.
Nun gut, die Beamten haben diesen hier also gleich gesperrt. Sicher besser so, denn immerhin wollen wir eine Straftat klären!
Saaleaue… Ich musste erst von Dresden die Autobahn 14 ganz hinauf, dann bis Plötzkau, dort wenden und später zurück, eben auf diesen Parkplatz in Richtung Dresden.
WC-Häuschen… das ist immer gut. Gibt es im Westen Deutschlands weniger auf den Plätzen an den Autobahnen. Ja, die Kollegen drüben schimpfen immer… wir würden alles neuer und besser haben. Klar. Ist ja auch gut vierzig Jahre nicht allzu viel passiert… und nun eben nach den heutigen Bedürfnissen!
Ich fasse es immer noch nicht.
Keller rief mich an. Eigentlich sollte ich all das Max übertragen. Aber der Minister… wie das klingt… meinte zumindest, dass ich mich darum kümmern muss.
"Zu heikel! Außerdem werden Sie eventuell mit den Wettinern verhandeln müssen… und das ist nichts für Ihren Kollegen!"
Nun, vielleicht hatte er recht. Zumal alles auch noch über die Landesgrenzen hinaus ging. Immerhin… hier bin ich in Sachsen-Anhalt. Weit genug von Dresden entfernt. Denkt Keller jetzt wirklich, ich werde alles für ihn erledigen, weil er endlich Minister ist?
Ja, der Fall klang interessant… und schon die Fahrt hierher war sicher alles andere als langweilig… Sächsische Geschichte pur… Trotzdem!
Was sich die Beamten gerade an diesem Autobahnabschnitt leisteten … das geht soundso auf keine Kuhhaut, wie wir in Dresden so gerne sagen. Na ja… mal sehen, was daraus wird.
Jetzt ist da überall Blaulicht… und man sieht mich zuerst ablehnend und scheel an. Was hab ich denn auf diesem gesperrten Platz zu suchen? Natürlich, meine Marke… Die schafft zumindest Zugang… noch lange kein wirkliches Vertrauen.
"Ah, Hauptkommissar Zech aus Dresden… haben Sie es gefunden?!"
Ich komme aus Sachsen… Okay… Aber blöd bin ich darum noch lange nicht!
Umsehen… nichts Besonderes… eben ein Parkplatz. Und dass ich die Beamten ignoriere… Sollen sie mich doch arrogant nennen! Ich bin schließlich dafür bekannt, dass ich die Leute erst einmal übersehe und ihnen dafür später umso mehr Aufgaben aufbrumme. Warum also zum Beispiel nicht gerade jetzt und hier?
Was sehe ich?
Da steht also das Toilettenhäuschen und davor gibt es zwei Behindertenparkplätze. Oh, ich kenne eine Menge von Leuten, die mit absoluter Vorliebe gerade solche Parkplätze nutzen. Warum? Ich weiß es nicht. Zumal meist auch noch ganz andere in größeren Mengen zur Verfügung stehen… Faulheit… Ja, das kann es sein!
Was gibt es noch? Da, einige PKW-Parkbuchten, ein, zwei Sitzecken mit Tisch… und viele Müllbehälter.
Den größten Teil des Platzes belegen die LKW-Buchten. Ach, was heißt Buchten… das ist einfach nur ein Platz mit genügend weißen Strichen.
Jetzt jedenfalls haben keine PKWs und auch keine Trucker hier zu halten… Alle, die hier stehen, sind Polizeifahrzeuge… und auch einige zivile Wagen… Autobahnpolizei und so.
Und…
Ja, und ein dunkelblauer PKW… tatsächlich… ohne Kennzeichen … wohl ein Ford, Ford Escort, älteres Baujahr. Der sieht weder stillgelegt, noch abgewrackt aus. Na, hat sich hier nur Jemand einen Scherz erlaubt oder ist das vielleicht zusätzlich der Stein des Anstoßes? Kann ich mir kaum vorstellen, denn dann hätte man mich nicht aus Dresden geholt!
"Kommissar… ähm… Hauptkommissar… hierher!"
Ich sehe Koch. Mit dem bin ich schon einmal zusammengeraten als er uns eine ganze Weile mächtig in die Kompetenzen pfuschte. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Wir haben bisher sicher nicht unbedingt eine gegenseitige Liebe entwickelt… Wir akzeptieren uns zumindest. Auch ein Werk von Keller. Der hat manchmal seinen Elegischen und will den Friedensengel spielen. Nun gut.
Ich lenke meine Schritte… wie das klingt… ich gehe zu Koch.
"Hier oben, Zech!"
Aha… hatte mich schon gewundert… Über den Platz wollte er mir auch nicht nur meinen Namen entgegenschmettern. So ein… na ja…
"Ist das nicht glatt?"
Ich sehe auf meine Anzugstreter, die ich dummerweise angezogen habe. Die derben Trekkingschuhe wären wohl besser gewesen. Wer denkt denn daran, dass es nun gerade einen solchen Fall gibt, wo doch heute unsere Weihnachtsfeier in Dresden steigt. Na, Petra wird sauer sein wenn ich sie nicht pünktlich abhole. Sie kommt jetzt immer seltener vor die Tür… und auch wenn sie keinen Tropfen anrühren wird… dabei sein wollte sie doch!
Koch lacht, "Ich stütze Sie!"
Waren wir nicht einmal per ‚Du'? Gut, vor dem großen Krach. Aber wenn er es will… Vielleicht schadet ein wenig gesunde Distanz gar nicht?
Ich klettere hinter ihm her, den kleinen Hang hinauf und dort auf dieses Tor zu. Ja, ich habe mich schon immer gefragt, warum denn nur diese Parkplätze grundsätzlich eingezäunt sind. Aber eine schlüssige Antwort… ja, einmal sind es die Tiere, die nicht auf die Autobahn rennen sollen… dann die Reisenden, die sich nicht alles in der Umgebung anschauen dürfen… und andermal natürlich auch noch die Anwohner, die diesen Platz nicht als Grillplatz verwenden sollen.
Ausreden… vielleicht ist es auch nur das Übliche… das Abstecken des Territoriums… Ja, kann sein!
Jedenfalls steht dieses Tor offen. Angeblich sollen sie das alle sein. Hat wohl etwas mit Fluchtwegen und Sicherheit zu tun… das führt dann schnell alle anderen Punkte wieder ad absurdum…
"Hier, Zech… das ist es. Und Ihre Kollegen…"
Koch reißt mich aus meinen Überlegungen. Ja, da war doch dieser Fall, den Keller wieder einmal nur seinem Mann übergeben wollte… Nur mir und meinem Team. Und dann… Dann kann er sich wieder brüsten, wenn wir alles aufklärten. Oder aber wir sind allein schuld! Oh, was es dabei schon für Sachen gab… Dieses Auto in der Elbe… Ja, das ging schon an die Nieren… und diese Sache in Tschechien. Gerade erst habe ich die Akten von Max ins Archiv bringen lassen.
Aber hier?
"Da steht die Kassette. Und dort sehen Sie die Reisetasche… wohl eher so ein Mittelding zwischen Hand- und Reisetasche. Aber alles schwer und teuer. Gerade diese Tasche… kerniges Leder. Nicht so billig zu bekommen!"
Preise… was ist denn heute wirklich noch billig?
"War etwas drin?"
Irgendetwas muss ich ja sagen. Aber Koch schüttelt nur den Kopf.
"Nein. Nur eben, weil dieses Wappen an der Kassette ist. Und weil so etwas heute schon lange nicht mehr hergestellt wird. Muss also alt sein. Nicht zu alt zwar, aber… niemand vermisst so ein Ding!"
Alt… und doch nicht…
Ja, Keller, da hatre er mich natürlich gleich im Visier!
"Und das Auto?"
Koch sieht mich fragend an.
"Na, unten auf dem Platz!"
Ich zeige hinunter. Wir sehen das Dach.
"Nein, Zech, das steht da schon eine Weile. Denke ich zumindest. Das hat sicher mit alledem nichts zu tun. Immerhin ist das ja eine wahre Billigausführung... gegen das Zeug hier!"
Billigausführung… ich musste lächeln. Ja, an Koch ging sicher kein guter Kriminaler verloren… Dazu fehlt ihm die Weitsicht. Und wie oft sich gerade die so unbedeutenden Dinge igendwann als wichtig erwiesen… Na, kann er nicht wissen.
"Stellen Sie trotzdem den Halter fest. Man kann nie wissen!"
Genervt will Koch etwas sagen.
"Nein, keine Kompetenzüberschreitung. Das Ding steht auf Ihrem Parkplatz und ich meine, dass es zum Fall gehören könnte. Zumindest sehe ich keinen einzigen Grund, es jetzt einfach schon auszuschließen!"
Ich gehe zur Kassette.
Oh, tatsächlich… Das ist recht dicker Stahl. Und das Schloss wirkt ebenso nicht wie eine billige Ausführung. Schon der Schlüssel…
Komisch eigentlich… Warum, um alles in der Welt, wirft Jemand eine Kassette weg, zu der er doch einen Schlüssel besitzt? Und außerdem… wenn er einen solchen hat, dann muss er doch nicht fernab der warmen vier Wände…
Ja, es sei denn…
Tja…
Wenn man nun…
Einer hat die Kassette, der Andere den Schlüssel… und keiner kann allein etwas mit seinem Reichtum anfangen…
Ich sehe das Wappen. Natürlich, das kannte ich nur zu gut.
Wettin… das Haus Wettin… unverkennbar!
Vor ein paar Tagen gingen mir die ganzen Ergebnisse aus dem Hohburgfall noch einmal durch den Kopf. Dedo, Prinz Dedo von Sachsen war gestorben. Einer der letzten direkten Nachkommen des letzten Sächsischen Königs. Und er regelte sicher viele Dinge in und um Dresden… sorgte dabei für jede Menge Wirbel…
Tja, nun ist er tot... und ich stand vor einer Kassette, die sein Familienwappen zierte … auf einem Parkplatz… gut, nahe bei… mitten in Sachsen Anhalt.
"Wann habt Ihr das alles gefunden?"
Koch war genau diese Frage peinlich.
"Zech, wissen Sie… da gab es eine ganz blöde Panne… und darum habe ich auch alles dafür getan, dass die Sachsen gleich mit eingeschaltet werden… Damit nicht noch mehr Zeit vergeht!"
Ich sah ihn fragend an. Was meinte er denn nun schon wieder? Sollte das Gerücht stimmen, was Keller anklingen ließ?
"Ja, wissen Sie… das war so…"
Ich glaubte ehrlich nicht, was ich jetzt hören musste.
Polizeiarbeit? Oh, ich hasse es, wenn Beamte sich um alles Mögliche kümmern, nur eben nicht um ihren Job und all das, was sie unbedingt zu tun haben! Na, das war ein starkes Stück!
Ich merkte schon… Ich war auf 180! Ruhig, Frank, ganz ruhig!
"Vor einer reichlichen Woche, letzten Freitag, da rief ein Reisender von hier aus die Polizei an. Machte wohl Pause und vertrat sich die Beine…"
Beine vertreten… na, bei dieser Kälte… ach… halt… letzte Woche… da war es doch noch richtig warm. Gut, Wind… den gab es. Und es soll auch ein paar Unterkühlungen dabei gegeben haben… Sogar bei der Polizei. Das tat nichts zur Sache.
"… jedenfalls kletterte der wohl auch hier hoch und sah die Kassette liegen. Mit der Tasche. Was er dann gemacht hat, das machen nicht Viele! Er rief nämlich die Polizei an und berichtete von seinem Fund. Muss wohl erst eine Weile hin und her verbunden worden sein, ehe er die richtigen Kollegen für diesen Abschnitt dran hatte. Zumindest wollte er sogar warten, bis die Beamten kamen, um ihnen gleich zeigen zu können, was er da wo fand."
Und warum, stellte sich mir die Frage, wurde ich dann heute erst gerufen… Außerdem... Warum lag der ganze Kram noch hier?
Koch sah mir meine Wut an. Kleinlaut fuhr er fort
"Ja, und dann ist er sicher nach einiger Zeit mit genügend Frust im Bauch abgefahren. Die Meldung war den Kollegen durchgerutscht. Irgendwer schien einen Haken dran gemacht zu haben, ohne dass jemand hier war."
Oh, ich kannte das. Leider… der Stress! Weniger Beamte für größere Gebiete bei geringerer Schichtlänge und kürzerer Aus- und Weiterbildung. Vom Geld mal ganz abgesehen… Wenn ich daran denke, dass meine Beförderung gerade mal… Na, das tut nichts zur Sache!
"Und, was passierte dann?"
Kochs Gesicht wurde rot. Bei diesen Temperaturen und der Zeit, die wir nun schon in der überall zwickenden Kälte standen, eine wahre Meisterleistung!
"Na, wir bekamen heute noch einen Anruf. Der gleiche Mann hatte wieder hier gehalten und sich gewundert, dass auch das von ihm gemeldete Auto ohne Nummernschilder noch hier stand. Und als er nach oben stieg und die Kassette dort im Schnee stehen sah, da wurde er wohl richtig grimmig, denn der Kollege von der Aufnahme musste ihn erst einmal beruhigen und hatte auch vollstes Verständnis, denn er fand den Eintrag von letzter Woche… und den Haken ohne Bericht. Blöde Sache. Jetzt aber nicht mehr zu ändern. Und weil er gleich weiter wollte, ja musste, und sich auch nicht noch einmal auf eine Wartezeit einstellen mochte, da sagten wir ihm zu, dass wir alles in die Wege leiten. Und nun sind wir halt hier!"
Oh, welche Ehre… ich kam mir vor wie im falschen Film. Dass mal etwas durchrutscht… gut, das kann passieren! Aber eine Woche…
Sicher schaute ich jetzt recht ungläubig aus der Wäsche.
Koch bestätigte seine Worte noch einmal.
"Ja, wirklich, wir haben hier vollkommen versagt… einziger Trost…"
Und dabei sah er mich fast triumphierend an.
"…ja, das war und ist, das es letzte Woche Freitag auch geregnet hat. Also, Fingerabdrücke hätten wir da mit Sicherheit auch keine mehr finden können. Ganz sicher nicht!"
Und ich kann nur noch meinen Kopf schütteln.
"Gibt es denn wenigstens schon einige Ergebnisse? Habt Ihr nachvollziehen können, wann dieser… nun… dieser Reisende denn hier war und was er vielleicht noch gesehen hat?"
Mein Gegenüber schaut versonnen und gelangweilt in die Runde
"Was soll der schon gesehen haben? Vielleicht hat er auch noch wichtige Spuren zertrampelt… oder sich gleich einen Überblick verschafft, sich dann fast einen Spaß aus allem gemacht und uns sinnlos genervt… Ich weiß es nicht. Zumindest war das sicher nur so ein Wichtigtuer, der vielleicht auf eine Prämie, so eine Belohnung aus war. Mehr wird da nicht sein. Und dann auch noch…"
Bedeutungsvoll hob er den Zeigefinger und ich konnte mir schon fast vorstellen, was jetzt kommen würde…
"Na, dass er dann eine Woche später… gut, sogar noch später, heute eben erst, zum Sonntag, dass er da noch einmal nachschaut und uns schon wieder nervt… Nun, irgendwann wäre es auch unserem Computer aufgefallen, dass da ein Bericht fehlt. Und dann wären die Beamten natürlich sofort hierher gefahren. Aber der wollte uns vorführen. Mehr ist sicher nicht dahinter!"
Arroganz hat einen Namen… Früher machten wir manchmal den Spaß, als Schüler ‚Blödheit' in neuen Einheiten zu messen… so ungefähr, "Das sind ja vier Franz. Und ein Franz sind immerhin schon drei Sven!"
Na ja… und jetzt… Arroganz… nein, ich verdrängte die Einheit ‚Koch'. Ich versuchte, zumindest bei der Sache zu bleiben.
"Koch, ich brauche die Daten von diesem Anrufer. Wenn der sich nach über einer Woche noch einmal meldet, dann könnt Ihr wirklich froh sein, dass er nicht gleich an die Presse gegangen ist, sondern sich zumindest noch an die Nummer ‚110' erinnerte. Immerhin hätte ich an seiner Stelle längst das Vertrauen in uns alle verloren… nach so langer Zeit!"
Koch wurde noch einmal rot. Nicht mehr vor Scham. Das schien vorbei. Nein, jetzt war er es, der vor sich hin wütete.
"Klar, das war doch klar… ich reiße mir hier den Arsch auf, muss mich auch noch über Ländergrenzen hinweg vollpöbeln lassen… von solchen Ministern und so weiter… und dann macht mir auch noch so ein Kommissar das Leben schwer. Verdammt… das ist genug!"
Rumpelstilzchen… ja, das war vielleicht ein guter Vergleich!
"Also, Koch, geben Sie mir die Daten von diesem Mann und dann lassen Sie den ganzen Kram nach Dresden schicken. Ich bin schließlich nicht hier, um Unfrieden zu stiften. Und wenn Sie mit der ganzen Sache nicht umgehen können, dann tut es mir leid. Ich will helfen. Und Keller meinte nicht umsonst, dass das sicher ein Fall für unser ‚Historien-Team' ist, wie er uns manchmal nennt. Also… nehmen Sie sich zurück… Ihre Kollegen haben das vermasselt. Und ich schlage mir ebenso einen Sonntagnachmittag um die Ohren. Zumal wir in Dresden heute Weihnachtsfeier haben… Können Sie mal sehen wann wir Zeit finden uns zusammenzusetzen. Also… alles nach Dresden. Morgen setze ich mein Labor dran. Und die Recherchen starten vielleicht schon heute Nacht. Und…"
Diesmal wurde meine Stimme kalt und leise, denn ich hasse es, wenn sich Kollegen nach einer Panne auch noch so aufführen als wenn es das Selbstverständlichste der Welt wäre, dass so etwas passiert.
"Koch, nehmen Sie sich zurück. Das hilft weder dem Fall, noch denen, die für diese Panne verantwortlich sind, klar?"
Wütend stapfte ich durch den Schneefall hinunter. Ja, ich glitt nicht aus. Glück. Das gab meinem Abgang noch eine gewisse Stärke. Und ich wusste genau, wie sehr es Koch wurmen musste, dass ich Keller nicht als Minister ansprach, sondern eben wie meinen Chef, der er ja in gewisser Weise immer noch war. Zumal Koch sicher ebenso wenig verstand, dass ich so schnell ein ‚Haupt' vor meinen ‚Kommissar' setzen durfte.
Machtgerangel und Grabenkämpfe… das ist doch alles so sinnlos!
Viel später, als ich schon im Auto saß und wieder gen Dresden fuhr, fiel mir auf, dass Koch nicht mit einer Silbe erwähnte, wer denn nun für diese Panne verantwortlich war. Sollte es gar seine Schicht hier an der A14 gewesen sein? Nun, das würde zumindest sein ‚Engagement' bei der Verschleierung der ganzen Aktion erklären. Zu blöd aber auch!
Ich wählte die Nummer von Max.
"Ja, ich habe schon einmal recherchiert… zumindest gibt es keinerlei aktuelle Meldungen von irgendeinem Wettiner, die sich mit einem Diebstahl beschäftigt… Wenn ich die alle auseinander halten kann…!"
Gut… und Friedrich nutzte ebenso die Zeit vor der Feier, um seine Rechner zu stressen.
"Nein, Chef, die haben auch in den letzten zehn Jahren scheinbar offiziell keine Kassetten verloren!"
Gut… wenn da das Wappen dran war… und das schien kein Abziehbild für fünfzig Cent zu sein… dann gehörte das Ding auch denen.
"Also… ich komme jetzt zurück. Und seht zu, dass die Feier nicht ins Wasser fällt… Die Kollegen hier um Koch lassen uns das Zeug soundso erst morgen zukommen. Bis dahin haben wir noch ein wenig Zeit… und hoffentlich eine schöne Feier!"
Glaubte ich selbst daran?
Während der Fahrt sah ich mir die braunen Schilder an. Immer wieder entdeckt man dort eine ganze Menge an interessanten Burgen, Schlössern, Landschaften am Rande der Strecke. Und so mancher Urlaub mit Petra kam überhaupt erst zustande, weil wir irgendwann einmal eben solch einen Hinweis an der Autobahn sahen… Entweder sie oder ich auf einer unserer Reisen quer durch Deutschland… Dienstlich. Oh… halt, Chef… das war jetzt nicht offiziell… Urlaubsplanung während der Dienstzeit? Na ja… egal!
Was war das…?
Hatte ich jetzt richtig gelesen?
Tatsächlich. Noch einmal schaue ich durch das Schneetreiben auf das Schild, ehe ich mit gerade einmal sechzig Sachen daran vorüber geschlichen bin… was stand da? ‚Stammburg der Wettiner'… Hier?
Ich glaube, alles über unsere sehr wechselvolle Geschichte in Sachsen weiß ich freilich nicht… Und da… Warum fiel mir das auf der Herfahrt nicht auf? Ja, da gibt es sogar einen Ort ‚Wettin'.
Komisch… Ob die Wettiner da noch wohnen? Oder wieder?
Eine Kassette mit dem Wappen der Wettiner… wenige Tage nach dem Tode des Prinzen Dedo von Sachsen… und das Ganze auch noch gar nicht so sehr weit von eben jener Stammburg entfernt?
Ich rufe Sonja an. Ja, eigentlich müsste ich Max oder Friedrich daran setzen und Sonja ihre paar ruhigen Stunden nach dem Fall in Pirna lassen. Aber die Beiden sind beschäftigt. Und ich brauche schnell eine Antwort.
"Schau doch mal nach dieser Stammburg der Wettiner und dem Ort Wettin… Was ist da heute und was war da früher… Nur so für die Unterlagen. Aber wenn es schon um eine Kassette geht… Na, man kann ja nie wissen!"
Nein, eine schnelle Aufklärung des Falles… dazu waren die Spuren zu dürftig und…
Schon wieder klingelt es. Oh, ich bewundere alle, die kein Handy haben oder sich zumindest den Luxus leisten können, im Auto nicht ranzugehen. Aber die Freisprecheinrichtung… Leider im Dienstwagen Standard. Somit auch in meinem Dienstleben!
"Koch hier! Wir haben die Fahrgestellnummer!"
Ah… der Escort. Ich erinnere mich!
"Und?"
Scheinbar ist es Koch peinlich.
"Ja, das könnte wirklich etwas mit der Sache zu tun haben!"
Dachte ich es doch!
"Der ist auf einen… nun, in den Unterlagen steht tatsächlich ‚Diener und Bote'… ich würde mal sagen, einen der dienstbaren Geister dieser Wettiner zugelassen… auf Schloss Wachwitz soll der wohnen. Kann ich mir zwar nicht…"
Ich höre schon gar nicht mehr zu.
Klar gehörte das zusammen! Fehlte nur noch, dass wir irgendwo…
Halt… ich werde noch einmal sehr hellhörig.
"… und ist schon seit drei Wochen nicht mehr gesehen worden!"
Ach… vermisst… Das wurde ja gleich viel interessanter!
"Der Wagen gehörte dem Mann?"
Koch schnaufte
"Nein, nicht Mann… das war eine Frau… ist eine… zumindest als Halterin ist eine Susanne Magdalena von Sommergau eingetragen. Ich schicke Ihnen die Daten auch noch rüber… und…"
Ich dachte schon, nun würde er einfach auflegen. Aber Koch meinte noch bestimmt und kleinlaut, "…Entschuldigung für vorhin… Wenn ich auch nur gewusst hätte… Aber meine Kollegen haben einfach Mist gebaut… Du stellst Dich doch auch vor deine Männer… und Frauen… oder?"
Ich musste lächeln.
"Weißt Du, Peter, ich kann mich gut an die Tage erinnern, als wir auch schon einmal zusammen gearbeitet haben. Und ich weiß, dass es nicht immer so einfach ist, eine Schlappe wegzustecken. Aber…"
Ich ließ eine Pause… gerade gut, weil ein Kleintransporter hinter mir meinte, jetzt auf der spiegelglatten Bahn auch noch überholen zu müssen und dabei ganz schön herumschlingerte.
"… das man seine Leute schützt, das geht nur so lange, wie es den Fall nicht behindert. Das musste ich auch erst lernen. Also… schick alles rüber und dann sehen wir weiter. Ich denke, dass auch vor einer Woche alles schon eine ganze Weile her war. Unentschuldbar bleibt die Sache schon. Aber hängen wir das mal nicht ganz so hoch, ja?"
Erleichterung schien bei Koch zu entstehen… und wenn er sich schon an die alten Tage erinnerte, als wir uns noch Duzten, da konnte ich ihm ebenso ein wenig entgegen kommen.
Was hatten wir denn nun? Nicht viel. Eine leere Kassette, die bisher niemand vermisste. Ein Auto, das sehr wohl jemandem gehörte, der… die… nun ja… die also schon eine Weile verschwunden zu sein schien. Und alles in einer Zeit, da der Prinz von Sachsen… Herzog… Was auch immer... Nun, eben Dedo gestorben war und die alten Wettiner gerade nicht unbedingt in der Gunst der Sachsen standen… Rückgabeforderungen, Kapriolen in Presse und Fernsehen… nun ja.
Und alles passierte auch noch in der Nähe von Wettin.
Hatte das etwas zu sagen? Wir werden sehen. Hoffentlich!
Zumindest ist der Kleintransporter jetzt vorbei und verschwunden.
Weihnachten… mir ist gar nicht nach diesem Fest. Nein, ich bin sicher kein Weihnachtsmuffel. Wie auch… das ist einfach eine viel zu schöne Zeit, als dass man sich dagegen aussprechen könnte. Aber trotz dieses Schnees da draußen und auch wenn es nicht einmal mehr vier ganze Tage sind, bis die ersten wirklichen Bescherungen beginnen… nach Weihnachten zumute ist mir nicht.
Kalt… Kälte gehört dazu. Und Petra meint, dass man einfach nur dem Wetter vertrauen muss. Das wüsste schon, wie man dann eingestimmt wird.
Ich fahre gen Dresden. Gut ein, zwei Stunden brauche ich sicher noch… und zwischendurch eine Pause… Ja, das sollte auch noch sein. Unbedingt. Denn bei diesem vielen Weiß zieht es mir schon ganz schön die Augen zu auf der Fahrt.
Wieder schellt das Telefon. Bloß gut, dass ich auf Vibration umschaltete und im Auto ein verträglicher Klingelton eingestellt ist. Sonst… lenkt das ganz schön ab.
"Sag mal, Frank, wo steckst Du eigentlich? Ich warte hier… In einer halben Stunde wollten wir doch los. Sag jetzt nicht, das da wieder irgendetwas dazwischen…"
Ich kann die Wut spüren… ja, wirklich. Und dabei kann sich Petra doch freuen… Noch gut einen Monat und dann wird uns der Murkel jeden Tag ordentlich beschäftigen.
Ich nenne ihr meine ‚Position', wie man so schön sagt. Erst einmal ist Stille am Telefon. Dann legt sie richtig los.
"Ich möchte wirklich mal wissen, wozu es diese kleinen Dinger gibt, die man Handys nennt… Ich mache mich hier hübsch und Du bist inzwischen gut zweihundert und mehr Kilometer weit weg. Da hätte ich mir das alles ruhig sparen können!"
Na, Wut ist sicher nur gelinde ausgedrückt. Und ich kann sie auch noch verstehen… Ich wäre wohl ebenso sauer!
"Iss schon etwas. Und dann gehen wir zur Feier!"
Ich sehe in Gedanken gerade Keller allein im Saal sitzen. Das ganze Team beschäftigt sich mit den Wettinern und ihrer Kasse… Aber er sitzt einsam da und muss den ganzen Wein, Sekt und die vielen Häppchen allein vertilgen.
Nein, sicher nicht allein… Petra wird auch da sein.
Ach wo… Petra geht da nicht allein hin!
"Mach Dir keine Hoffnung… Wenn Keller mich abholt, dann gehe ich auch mit!"
Das werden wir sehen! Früher zumindest hat sie mir noch alles Gute für die Fahrt gewünscht… und heute muss ich froh sein, wenn sie mir nicht gleich die Freundschaft kündigt!
"Vergiss bitte unser Wichtelgeschenk nicht. Sonst stehen wir ganz schön blöd da!"
Oh, das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen?
Zumindest breche ich das Gespräch ab und fahre weiter.
Ich überlege…
Das, was die Kollegen von der hiesigen Spurensicherung da freigelegt hatten, war eigentlich vom Aufbau her eine ganz normale ältere Kassette… eine Geldkassette. Und warum trug sie das Wappen der Wettiner? Ja, ist ja gut… weil sie ihnen sicher gehörte. Aber warum hatten die eine Geldkassette, wo doch heute auch bei diesen Adelsfamilien alles über Banken, Konten und Online-Portale abgewickelt wurde? Nun, man konnte auch andere Dinge…
Aber es gab dieses Münzfach…
Tarnung?
Ich habe keine Ahnung! Wir stehen völlig am Anfang der ganzen Geschichte. Ich brauche mir also erst einmal gar keine Sorgen und Gedanken um den Fall zu machen… beim derzeitigen Stand…
Halt…
Vermisste Frau. Dienerin…
Verschlampte Polizeiarbeit… oder eher Nichtarbeit…
Ich sollte mal weniger an diese blöde Kassette denken, als vielmehr an die Frau. Und bei diesen Temperaturen müsste sie zumindest an irgendeiner Stelle der Welt auftauchen… wenn man schon nach ihr suchte und sie noch lebte…
Ja, da konnte sie bei den Wettinern arbeiten oder auch beim Scheich von Irgendwas… Irgendwann wäre sie doch sicher aufgefallen.
Wettiner… verfolgten mich diese Leute? Oder eher ich sie?
Na, ich müsste doch langsam wissen, dass ich als der Mann für historische Fälle immer wieder mit denselben Personen zu tun haben werde… gerade in Sachsen… obwohl… ganz sicher?
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